darum haben es ja die klugen Köpfe immer so schwer
"Lustige Diskussion hier
Um mal gleich einen Paukenschlag zu landen: das letzte Mal, als bei mir der IQ gemessen wurde, irgendwann in meiner Kindheit, lag er bei 160. Toll, nicht wahr?
Gar nicht so toll, wie man denkt.
Lehrer konnten meinen Gedankengängen in der Schule nicht folgen und sahen in mir nur einen prä-adoleszenten Klugscheisser, Mächen sahen in mir so etwas wie einen Freak oder einen Alien und gingen sowieso lieber gerne mit den "coolen", halbstarken Jungs, Jungen wollten mich nicht als Freund haben, da ich in ihren Augen ein Streber war, den sie nicht verstehen konnten.
Eine Klasse übersprungen und - oh Wunder - es wurde schlimmer: denn nun kamen noch Altersunterschiede hinzu, Ärger zu Hause, da mein Vater es nicht gerne sah, wenn er mir argumentativ unterlegen war, weiterhin kaum Freunde, überhaupt keine Freundinnen, obwohl es dann und wann mal hiess "eigentlich ist er ja ganz süss".
Große Teile meiner Kindheit waren also eine Achterbahn, auf der ich unterwegs war. Nur mit dem Unterschied, daß ich in keinem Wagen saß, mit coolem Haarschnitt, teuren NIKEs und in jedem Arm eine Freundin und euphorisch "Aaaaaargh" schrie, sondern zu Fuß gehen durfte - natürlich allein, verfolgt oder ignoriert von besagten Wagen, um mal ein Bild zu skizzieren.
Alle Fächer 1, sogar Sport, was den gleichatrigen Jungen besonders auf den Sack ging, da sie mich dadurch nicht in irgendeine Schwächling-Ecke schieben konnten.
Ich trug keine Brille, wieder so ein zerstörtes Klischee, was Leute in meiner Umgebung gerne gehabt hätten, setzte mich für Schwächere auf dem Schulhof ein - und erst körperliche Auseinandersetzungen brachten mir sowas Ähnliches wie Respekt ein. Später folgten dann wirklich die coole Frisur, markante Pseudo-Macho-Verhaltenszüge, die ich detailliert einstudiert hatte aus Filmen, Kaugummi kauend, rebellierend (gegen wen, weswegen?), Zigaretten rauchend, mit Sex-Erfahrung prahlend (obwohl ich noch Jungfrau war).
Und schon akzeptieren mich alle, insbesondere Frauen.
Führte bei mir im Stillen zu Verbitterung, zeigte es mir doch, wie sehr Menschen offenbar auf ihre achso kleine, klischeehafte Welt Wert legen, wie dringend sie Schubladen brauchen und das vermeintliche Gefühl, jeder sei letztlich so wie sie. Ich habe nie mit meiner Intelligenz geprahlt, hinterfragte immer als erster, was Intelligenz überhaupt sein soll. Der Dichtegrad der Vernetzung von Synapsen? Die geringe Zeitspanne beim Transfer von Neurotransmittern?
Die angeborene Eigenschaft grössere Teile des Neokortex zu aktivieren? Die empathische Version unter Berücksichtigung der Amygdala und des limbischen Systems?
Und in welchem Bezugrahmen? Mathematisches Verständnis, räumliches Vorstellungsvermögen, Abstraktionslevel, rhetorisches Kompendium?
Hardware. Metzgertum. Kalte Begriffe. Und vor allen Dingen: nie selbst ausgesucht, erworben.
Ergo nichts Persönliches, in meinen damaligen Augen.
Mein IQ? War damals mein erklärter Erz-Feind.
Die grösste damalige Geistesleistung von mir bestand darin absichtlich schlechte Noten zu schreiben, ohne dass es als solches erkennbar gewesen wäre.
Am Anfang war das überaus anstrengend, im Laufe der Zeit wurde es natürlich immer leichter, da ich immer mehr Stoff verpasste, Wissen fehlte. Mein sozialer Beliebtheitsgrad verhielt sich anti-proportional zur Schulleistung.
Für mich war das ein Naturgesetz. Keines, das ich mochte.
Aber interessiert sich ein hypothetisches Higgs-Boson dafür, ob man als Mensch auf Gravitation abfährt? Auch nicht, also.
Cut, Zeitblende. Ein Viertel Jahrhundert und 20 feste Beziehungen zu Frauen später:
Ich weiß immer noch nicht, was Intelligenz eigentlich ist.
Ich weiß aber, wie wichtig Empathie ist.
Wie ambivalent das Menschsein als solches ist, fernab eben all jener Klischees, die das Leben zwar bequemer für einige machen - aber auch falscher, nicht authentisch. Feige.
Und ironischerweise, beginnend ungefähr ab dem Alter von 20 hörte und las ich immer wieder, daß eine ganze Ecke Frauen auf "intelligente" Männer stehen.
Denen möchte ich gerne hiermit sagen, daß sie das selbe Schubladendenken von einst fortführen, nur haben sie die Richtung um 180 Grad verändert.
Der Konflikt mit meinem Vater weitete sich damals aus, ich ging in ein Kinder- und Jugendheim.
Dort lebte ich als einziger Abiturient mit Sonderschülern, Vergewaltigungsopfern (auch männlichen) zusammen.
Natürlich regierte Faustrecht, aber das war ich damals schon gewohnt und konnte mich behaupten, Hanteln sei Dank.
Ausgerechnet dort, zusammen mit Jugendlichen, für die "Legastheniker" bereits eine überoptimistische Bezeichnung war, hatte ich meine ersten, richtigen Freundschaften.
Denn sie waren ehrlich, aufrichtig, hatten ein klares Verständnis von Ehre und Würde.
Akzeptierten meine menschlichen Werte, mit meiner Intelligenz konnten sie nichts anfangen, kollidierten nicht damit. Geisteige Schwanzvergleiche blieben aus.
Ich war zutiefst beeindruckt.
Intelligenz alleine bedeutet nichts.
Es ist die Menschlichtkeit, die zählt."
(горе от ума)